Geschlechteraspekte in der Schmerzmedizin stärker berücksichtigen

Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2024 – ONLINE
Geschlechteraspekte in der Schmerzmedizin stärker berücksichtigen

Berlin, 13.03.2024. Frauen und Männer empfinden Schmerzen unterschiedlich und auch Schmerzmedikamente wirken geschlechtsabhängig. Prof. Dr. Dr. Bettina Pfleiderer, Leiterin der Arbeitsgruppe "Cognition & Gender" an der Klinik für Radiologie der medizinischen Fakultät der Universität Münster, forderte in ihrem Exzellenzvortrag zum Auftakt des Deutschen Schmerz- und Palliativtages, dieses Wissen in der Schmerzmedizin stärker zu berücksichtigen.

Schon im 19. Jahrhundert wurde behauptet, dass Frauen empfindlichere Nerven hätten. Moderne wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen eine niedrigere Schmerzschwelle bei Frauen. Etwa 70 Prozent der Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, sind weiblich. „In Studien zur Untersuchung von Schmerzmitteln spiegelt sich dieses Geschlechterverhältnis jedoch noch nicht wider, was zu verzerrten Ergebnissen führt“, kritisiert Pfleiderer.

Geschlecht des Studienleiters beeinflusst das Ergebnis
Ein weiterer Faktor, der die Studienergebnisse verzerren kann, ist das Geschlecht der Studienleiter. Das haben Studien mit Mäusen und Ratten gezeigt. Die Tiere wurden mit TShirts konfrontiert, die von Männern getragen wurden, was zu physiologischen Stressreaktionen und einer geringeren Schmerzwahrnehmung führte. Der Grund dafür war eine stressinduzierte Analgesie.

Bei der Untersuchung geschlechtersensibler Aspekte in der Schmerzmedizin müssen zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden, die die Schmerzverarbeitung beeinflussen. Dazu gehören Gene, Hormone, Alter, soziale Faktoren, vorherige Schmerzerfahrungen und auch das Gehirn. Frauen empfinden beispielsweise Druckschmerz stärker als Männer, unter anderem aufgrund ihrer dünneren Haut. Das weibliche Hormon Östrogen erhöht ebenfalls die Schmerzempfindlichkeit, während Testosteron Schmerzreize eher dämpft. Vielen Schmerzmedizinern ist nicht bewusst, dass die Strukturen des Gehirns, die in der Schmerzverarbeitung involviert sind, auch Östrogenrezeptoren aufweisen.

Deshalb sind auch die Wirkungen und Nebenwirkungen von Schmerzmitteln geschlechtsabhängig. Bei Paracetamol gibt es zwar keinen geschlechtsabhängigen Effekt auf die schmerzlindernde Wirkung, aber die Ausscheidung unterscheidet sich deutlich und ist bei Frauen um etwa 30 % reduziert. Das führt dazu, dass Überdosierungen oder langfristige Anwendungen bei Frauen schneller zu irreversiblen Leberschäden führen als bei Männern. Bei Opioiden hingegen machen sich geschlechtsspezifische Unterschiede sowohl in der Wirkung als auch in den Nebenwirkungen bemerkbar. Für lipophile Opioide beispielsweise ist der höhere Fettanteil von Frauen klinisch relevant und das Bindungspotenzial bei Frauen deutlich höher, erläuterte Pfleiderer.

Wissen zu Geschlechtsunterschieden in der Schmerzmedizin noch unzureichend
Das Wissen über geschlechtsabhängige Unterschiede in der Schmerzmedizin ist jedoch noch nicht weit verbreitet. In einer Umfrage unter mehr als 2.000 Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der medizinischen Fakultäten der Universitäten Münster und Duisburg-Essen konnten nur 30 % der Befragten die Fragen zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Schmerzmedizin richtig beantworten. Pfleiderer forderte eine verpflichtende stärkere Berücksichtigung des Geschlechts in Studien sowie die Angabe des Geschlechts der Versuchsleiter, um Ergebnisse zu standardisieren.

Ein erster Schritt ist aus ihrer Sicht die stärkere Berücksichtigung des Geschlechtsaspekts im bio-psycho-sozialen Schmerzmodell. Aktuell wird der Geschlechtsaspekt nur in der Kategorie "sozial" genannt. Aber auch in den Kategorien „bio“ und „psycho“ sind geschlechtsspezifische Aspekte hoch relevant und sollten entsprechend aufgeführt und berücksichtigt werden.

Kongress läuft noch bis Samstag, 16. März
Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag findet noch bis Samstag, den 16. März, online statt. Das Kongressprogramm umfasst eine Vielzahl von Fortbildungsveranstaltungen. Ein Highlight und gleichzeitig Abschluss des Kongresses ist das gesundheitspolitische Symposium am Samstag, den 16. März, von 12:00 bis 13:30 Uhr. Gemeinsam mit Vertretern der im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien wird der Vorstand der DGS den schmerzmedizinischen Versorgungsnotstand diskutieren und Lösungswege aufzeigen.

Steckbrief Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2024 – ONLINE
Thema: Individualisierung statt Standardisierung – Schwerpunkt: Rückenschmerz: gestern – heute – morgen
Termin: 12. bis 16. März 2024 Ort: Der Kongress findet online statt.
Veranstalter: Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V.
Anmeldung: https://interplan.eventsair.com/hhschmerz24/herzlich-willkommen/Site/Register

Weiterführende Informationen: https://www.dgschmerzmedizin.de/kongresse/deutscher-schmerz-und-palliativtag/

Pressemitteilung als PDF

Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) ist mit rund 4.000 Mitgliedern und 120 Schmerzzentren die führende Fachgesellschaft zur Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen. In enger Zusammenarbeit mit der Deutschen Schmerzliga e. V. ist es ihr vorrangiges Ziel, die Lebensqualität dieser Menschen zu verbessern – durch eine bessere Diagnostik und eine am Lebensalltag des Patienten orientierte Therapie. Dafür arbeiten die Mitglieder der DGS tagtäglich in ärztlichen Praxen, Kliniken, Schmerzzentren, Apotheken, physiotherapeutischen und psychotherapeutischen Einrichtungen interdisziplinär zusammen. Der von der DGS gestaltete jährlich stattfindende Deutsche Schmerz- und Palliativtag zählt seit 1989 auch international zu den wichtigen Fachveranstaltungen und Dialogforen. Aktuell versorgen etwa 1.321 ambulant tätige Schmerzmediziner die zunehmende Zahl an Patienten. Für eine flächendeckende Versorgung der rund 3,9 Millionen schwerstgradig Schmerzkranken wären mindestens 10.000 ausgebildete Schmerzmediziner nötig. Um eine bessere Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen zu erreichen, fordert die DGS ganzheitliche und bedürfnisorientierte Strukturen – ambulant wie stationär – sowie eine grundlegende Neuorientierung der Bedarfsplanung.

 

Kontakt

Geschäftsstelle

Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V.

Lennéstraße 9

10785 Berlin

Tel. 030 – 85 62 188 – 0

Fax 030 – 221 85 342

info@dgschmerzmedizin.de

www.dgschmerzmedizin.de

 

Pressekontakt

eickhoff kommunikation GmbH

Monika Funck

Tel. 0221 – 99 59 51 40

funck@eickhoff-kommunikation.de